Antimilitaristische Position zum Antikriegstag 2022
Aus einer antimilitaristische Position stellen wir uns gegen jeden Krieg. Jeder Krieg ist ein Massenmord. Jeder Krieg hinterlässt zahlreiche Verletzte und massenhaft traumatisierte Menschen. Männlichkeitswahn gewinnt in jedem Krieg. Vergewaltigung wird im Krieg immer auch zur Kriegswaffe.
Der Krieg in der Ukraine macht die anderen Kriege weitgehend unsichtbar. Wikipedia listet aktuell 18 Länder, in denen Kriege, Bürgerkriege oder bewaffnete Konflikte herrschen, u.a. den Krieg im Jemen, an dem mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Iran drei Regionalmächte beteiligt sind sowie den Angriffskrieg des Nato-Staates Türkei gegen Rojava.
Krieg und Rüstung bedeuten immer auch massive ökologische Zerstörungen. Wenn wir ein gutes Leben für alle, weltweit anstreben, steht Krieg angesichts von Artensterben und Erderhitzung mittlerweile auch dazu in einem grundsätzlichen Widerspruch. Denn: dafür braucht es eine halbwegs intakte, vielfältige Umwelt.
Der Krieg in der Ukraine bewirkt weltweit einen massiven Schub der Verarmung. Spekulation mit Getreide bewirkt, dass sich viele diese Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können. Der Widerstand nimmt in vielen Ländern bereits die Form von Hungerrevolten an. Nicht nur die globalen Getreidehändler, auch die Rüstungsschmieden, die Ölkonzerne und große Logistik-Konzerne machen dafür milliardenschwere Extra-Profite.
Flüchtlinge werden in der BRD entlang rassistischer Kriterien sortiert, deshalb: § 24 (Vereinfachtes Verfahren für Ukraine-Flüchtlinge) für Alle, welcome to all refugees!
Antimilitaristisches Graffiti, Wien 2013
Kein Friede mit den herrschenden Verhältnissen
Für die Anarchie in einer Welt jenseits von Geld und Eigentum
Ein Gute Leben für Alle, weltweit
Solidarische Grüße aus Bremen an Rheinmetall Entwaffnen
So weit von einzelnen Aktiven aus dem Umsonstladen und dem Buchprojekt. Es folgt ein Text, den wir als Buchkollektiv vor einigen Wochen für eine Nachauflage von Band 2 des Buchprojekts ‚Befreiung vom Geld und Eigentum‘ so diskutiert haben.
Krieg gegen die Ukraine
„Der Aggressor ist zweifellos Putin [und die russische Machtelite]. Der Krieg bedeutet unvorstellbares Leid für die Menschen in der Ukraine. Putins Rede vor Kriegsbeginn sprach der Ukraine das Existenzrecht ab.“(1), (2) In einem offiziellen russischen Propaganda-Dokument auf ‚RIA Novosti‘ werden alle Ukrainer*innen, die sich nicht als Russen verstehen, zu Nazis erklärt.(3) Massenmorde an Zivilisten durch die russische Armee scheinen sicher belegt.
Auf beiden Seiten kämpfen offen Faschisten und Nazis, die sich vor allem in zwei Kampfgruppen sammeln. Die Wagner Group ist eine russische, paramilitärische Privatarmee. Benannt ist sie nach dem Kampfnamen Wagner (Lieblingskomponist Hitlers) des Gründers und Neonazis Demitri Utkin. Eigentümer ist ein russischer Oligarch und Putin-Vertrauter. Der russische Generalstab suchte ab 2010 nach US-Vorbild eine privatisierte Armee für illegale Aktionen.(4) Der während der Maidan-Proteste im Februar 2014 amnestierte ukrainische Neonazi Andrej Bilezkyi gründete im Mai des selben Jahr das Asov-Batallion. Es trägt bis heute das Nazi-Symbol Wolfsangel. Als Freiwilligen-Bataillion im Krieg um Donezk und Luhansk (wo auch die Wagner-Group ihren ersten Großeinsatz hatte) gegründet, wurde es bald in die ukrainische Armee integriert.(5)
Aber auch die NATO hat u.a. mit den Osterweiterungen entgegen den Zusagen von 1990 massiv zur Eskalation beigetragen. Die NATO ist dabei, diesen russischen Angriffskrieg in einen Stellvertreterkrieg zu transformieren. NATO-Generalsekretär Stoltenberg stellte Anfang April klar, dass die NATO die Ukraine auch über Jahre und mit schweren Waffen beliefern wird.(6) Ende April kündigten US-Außenminister Blinken und US-Kriegsminister Austin an, ohne Krieg zu führen, Russlands konventionelle Kriegsführungsfähigkeit dauerhaft und essentiell schwächen zu können.(7)
Die vielfach wiederholte Forderung des ukrainischen Präsidenten Selenski nach einer Flugverbotszone nimmt eine militärische Konfrontation zwischen NATO und Russland und damit einen möglichen Atomkrieg in Kauf. Russland drohte bereits mehrfach mit einer nuklearen Eskalation des Krieges.(8)
Am 19.7. wurde ein schwerer Zwischenfall im AKW Saporischschja mit mehreren Toten und Verletzten gemeldet. Die russische Armee hat das größte AKW in Europa seit März besetzt. Das ukrainische Personal betreibt das AKW seitdem dort unter extremen russischen Druck. Russland hat auf dem AKW-Gelände Truppen und Artillerie stationiert und greift von dort aus an. Die Ukraine hat mit Kampfdrohnen diese Truppen angegriffen.(9) Beide riskieren leichtfertig eine radioaktive Katastrophe.
„Die neoliberale Politik, insbesondere die Zwangsmaßnahmen von IWF und Weltbank, die Freihandelsvereinbarungen sowie Land- und Sea-Grabbing haben seit den 1980ern in allen Ländern Subsistenz-Strukturen und die Selbstversorgung mit Lebensmitteln zerstört. Das hat eine Abhängigkeit vom Getreide-Weltmarkt geschaffen.“(10) Länder Nord- und Ostafrikas bezogen vor dem Krieg fast nur billigen Weizen und teilweise auch Mais fast ausschließlich aus den wichtigen Exportländern Ukraine und Russland. Während in Europa, auch auf Grund von Spekulationen, die Preise massiv steigen, hungern im Globalen Süden immer mehr Menschen.
Nicht nur Weizen und Mais, das russische Gas sondern auch Halbleiter und weitere Industrieprodukte aus der Ukraine verschärfen die Krise.(11) „Während Russland in der Ukraine massakriert und der Westen Waffen liefert, übergibt man sich täglich Milliarden Euros für Gas, Öl und Kohle und alle am Krieg beteiligten Parteien geben Acht, dass die durch die Ukraine verlaufenden Pipelines nicht […] zerstört werden, da sie ja essenziell für die globale Ökonomie sind.“(12)
Ukrainische Anarchist*innen beteiligen sich mehrheitlich aktiv am Krieg. Es gibt mit ‚Chorni Stiag‘ eine anarchistische Militäreinheit(13) sowie das mehrheitlich von Anarchist*innen gebildete Resistance Comitee (engl.: Widerstands Komitee). Dieses ist Teil der staatlichen Territorial Defence Forces (engl.: Gebiets Verteidigungskräfte).(14) Das ist angesichts den langjährigen Erfahrungen mit der repressiven Politik Putins nachvollziehbar. Ukrainische Anarchist*innen von Rev Dia posen schwer bewaffnet in Tarnuniform.(15) Was macht das mit Ihnen? Es fehlt uns eine emanzipatorische Perspektive. „Es wird illusorische Binarität der Dinge kreiert, anstatt Macht und Herrschaft einer tieferen Analyse zu unterziehen.“(16)
„Der Krieg in der Ukraine [ist] eine Fortführung des Angriffs, der gegen alles Leben auf diesem Planeten geführt wird.“(17) Darum ist es unerlässlich, antimilitaristische Positionen gegen jeden Krieg einzunehmen.
Staat und Medien bei ‚uns‘ nutzen den Krieg für eine extreme Militarisierung der Gesellschaft und mobilisieren die Bevölkerung gegen Russland. Die Ampelkoalition verabschiedete ein 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr und eine drastische Erhöhung der jährlichen Militärausgaben. Die immer wieder umgangenen „Rüstungsexportlinien […] untersagen Waffenexporte in Krisen- und Kriegsgebiete.“(18) Wir erleben gerade, „wie innerhalb weniger Wochen die öffentliche Stimmung systematisch gedreht wird[.] Mit Mühe erinnern wir uns: noch zwei Tage vor seiner Zeitenwende,[(19)] schloss der Kanzler [… Scholz] die Lieferung von Waffen in eine Konfliktregion kategorisch aus.“(20) Politik und Wirtschaft der BRD nutzen die Gelegenheit für einen anti-ökologischen Roll-Back. Kohleausstieg wird verschoben, das Autofahren wird subventioniert, Schutzflächen sollen für den Weizenanbau genutzt werden, die Diskussion über einen Ausstieg aus dem AKW-Austieg nimmt Fahrt auf.
„Momentan findet eine extreme Banalisierung und demokratische Zurechtstutzung von anarchistischen Ideen statt. […] Was bedeutet anarchistischer Antimilitarismus? Was bedeutet es zu sagen, dass wir gegen jeden Krieg sind? Welche Konsequenzen hat unsere Ablehnung des Staates in der Theorie und in der Praxis? Wie ist unser Verhältnis zur Demokratie, wenn eine Diktatur droht?“(21) Wir haben angesichts von Kriegen große Sympathie mit dem gewaltfreien Konzept der Sozialen Verteidigung. Angesichts der Erfahrungen mit zivilen Widerstand und den verwandtschaftlichen Banden zwischen Ukrainer*innen und Russ*innen hätte die Verweigerung der Kooperation durchaus Chancen gehabt.(22) Es bräuchte eine breite anti-militaristische Bewegung, die diesen mit sozialen (u.a. Inflation) und ökologischen Fragen verbindet und darüber zu klaren anti-staatlichen und anti-kapitalistischen Positionen kommt. Ergänzend braucht es Sabotage, hier und im Kriegsgebiet. „Die Belaruss*innen organisierten sich selbst und begannen [ab Ende Februar 2022] eine inspirierende Sabotagekampagne gegen das Zugschienennetz, wodurch sie Russland davon abhielten Nachschub zu ihren Truppen durch belarussische Territorium zu schicken.“(23), (24) Es reicht nicht einmal, dass Kriegsherren wie Putin und Erdoğan und die anderen Kriegstreiber in ihrem Umfeld Angst vor Attentaten haben müssen. „Im Krieg gewinnen vor allem Männlichkeitswahn und Rüstungskonzerne. […] Verlieren werden wir alle, solange wir uns nicht auf den Weg machen gegen patriarchale Herrschaftsstrukturen in all ihren Formen.“(25)
(1) S. 2 in: UMSONSTLADEN BREMEN, MAISKOLBEN GEN AG: Flugblatt zum Via Campesina Tag (2022)
(2) vergl. Wladimir PUTIN: Staat ohne Tradition / Zur Kolonie degradiert, Rede zur Begründung des Krieges vom 21.2.2022, dokumentiert in Junge Welt 23.2.2022 und 24.2.2022
(3) vergl. https://ria.ru/20220403/ukraina-1781469605.html, 3.4.2022, Übersetzung in mail vom 11.4.2022 von Red.Materialien
(4) vergl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppe_Wagner
(5) vergl. https://de.wikipedia.org/wiki/Regiment_Asow, https://de.wikipedia.org/wiki/Andrij_Bilezkyj
(6) vergl. SPIEGEL-REDAKTION: Nato zu jahrelangen Waffenlieferungen an Ukraine bereit, 8.4.2022, https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-krieg-nato-fuer-jahrelange-waffenlieferungen-an-ukraine-bereit-a-e9f2127f-3472-4911-b15e-dcb13a4bf451
(7) vergl. Majid SATTAR: Schleichender Strategiewechsel: Amerika will Russland über den Krieg hinaus schwächen, FAZ 27.4.2022, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ukraine-krieg-usa-wollen-russland-dauerhaft-schwaechen-17987927.html
(8) vergl. Peter RÁSONYI: Der Westen nutzt den Ukraine-Krieg zur Schwächung Russlands …, NZZ 30.4.2022, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-krieg-westliche-waffen-schwaechen-russland-zurecht-ld.1681696
(9) vergl. https://www.gmx.net/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/todesopfer-verletzte-russische-soldaten-zwischenfall-atomkraftwerk-37120010, https://www.fr.de/politik/ukraine-krieg-russland-atomkraftwerk-saporischschja-waffenlager-beschuss-soldaten-zr-91671809.html, https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-freitag-155.html#Ukraine-bestaetigt-Einsatz-von-Kamikaze-Drohne-an-AKW,
(10) S. 2 in: UMSONSTLADEN BREMEN, MAISKOLBEN GEN AG: Flugblatt zum Via Campesina Tag (2022)
(11) vergl. S. 14 in: ANONYM: Hunger, Krisen, Kriege, S. 14 – 15 in: In der Tat, anarchistische Zeitschrift Nr. 15, Mai 2022
(12) S. 14 in ebenda
(13) vergl. S. 10 in: IN DER TAT: Interview mit Gefährt*innen von anarchy2tay aus Russland, S. 8 – 11 in: IN DER TAT, anarchistische Zeitschrift Nr. 15, Mai 2022
(14) vergl. S. 4 – 5 in: IN DER TAT: Interview mit dem Resistance Comitee (Ukraine), S. 4 – 7 in: IN DER TAT, anarchistische Zeitschrift Nr. 15, Mai 2022
(15) vergl. https://enough-is-enough14.org/tag/rev-dia/
(16) vergl. S. 13 in: ANONYM: Patriarchat und Militarismus – zwei Seiten derselben Medaille, S. 12 – 13 in: In der Tat, anarchistische Zeitschrift Nr. 15, Mai 2022
(17) S. 13 in: #325COLLECTIVE: Für eine neue internationale anarchistische Koordinierung gegen den Krieg!, S. 13 – 16 in: Autonomes Blättchen Nr. 49, Hannover, Juni-Aug. 2022
(18) S. 11 in: Jürgen WAGNER: Tabubruch Waffenlieferungen, S.11 – 12 in: anti atom aktuell, Nr. 298, 27.4.2022
(19) vergl. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/krieg-in-der-ukraine/reg-erklaerung-bundeskanzler-2008234
(20) S. 7 in: ANTI ATOM AKTUELL REDAKTION: Transformation statt Eskalation, S. 6 – 7 in: ANTI ATOM AKTUELL Nr. 298, 27.4.2022
(21) S. 2 in: IN DER TAT: Auf Niemandes Seite!, S. 2 – 4 in: In der Tat, anarchistische Zeitschrift Nr. 15, Mai 2022
(22) vergl. S. 13 – 14 in: Christine SCHWEIZER: Vielfältige familiäre Bande, S. 13 – 14 in: anti atom aktuell, Nr. 298, 27.4.2022
(23) S. 7 in: IN DER TAT: Interview mit dem Resistance Comitee (Ukraine) (s.o. 2022)
(24) vergl. S. 18 – 20 in: ANONYM: Belarus: Widerstand gegen den Krieg, S. 18 – 20 in: autonomes Blättchen, Heft 49, Hannover, Jun – Aug 2022
(25) vergl. S. 26 in: FRAUENLESBENGRUPPE FRANKFURT: Rheinmetall entwaffnen – Kassel 2022, S. 26 – 29 in: Krampfader (FrauenLesbenzeitschrift), Kassel, Heft 3, Juli 2022